Sie blickte in den Spiegel, bereit, den nächsten Schritt in ihrem Leben zu wagen. Sie, in ihrem weißen Kleid, das ihr bis kurz über die Knie reichte, mit ihren Locken und ihren schimmernden blauen Augen. Das Mädchen sah in sich selbst die Lust und Freude, wie sie sie schon lange nicht mehr bei jemandem gesehen hatte. Nun kam auch ihre beste Freundin und half ihr mit dem Schleier. Zusammen machten sie sich auf den Weg zur kleinen Kapelle am See. Aber ich greife schon vor.
Beginnen wir am Anfang unserer Geschichte. Als Abby achtzehn Jahre alt war, zog sie mit ihrer kleinen Familie, bestehend aus ihrem Bruder, ihrem strengen Vater und ihrer liebevollen Mutter, nach Wien, wo sie später ihre große Liebe finden sollte. Aber erstmal zur Gegenwart. Sie stand in ihrem Zimmer und suchte sich unter zwanzig Kartons ihre Kleidung zurecht. Ihre beste Freundin Emelie war schon vor ein paar Jahren in diese Stadt gezogen und nun machte sie es ihr nach. Endlich hatte sie das Kleid und die Stöckelschuhe gefunden und machte sich auf den Weg ins Bad. Sie lockte ihre Haare und ließ diese elegant über ihre Schultern fallen. Dann zog sie sich um und schminkte sich noch. Nicht zu viel, aber sie wollte trotzdem ihre Augen betonen. Dann nahm sie ihre Tasche und verschwand aus der chaotischen Wohnung. Ihren Eltern war es egal, sie kannten von Abby nichts anderes. Sie war schon seit der Grundschule am Abend nicht mehr zu Hause gewesen. Entweder war sie bei ihren Freunden, im Park oder später dann auch in Karaoke-Bars. Ja, sie liebte das Singen und auch das Tanzen, deshalb war sie auch in Wien. Um zusammen mit Emmy die Musikakademie im ersten Bezirk zu besuchen. Abby ging durch die Straßen, umgeben von Geräuschen und Lichtern. Es dämmerte schon, aber sie wollte noch nicht umkehren. Obwohl sie Angst im Dunkeln hatte, ging sie einfach weiter. Plötzlich hörte sie Musik, erst ganz leise, dann immer lauter, je näher sie kam. Vielleicht waren es nur die lieblichen Klänge, aber sie wollte den Ursprung unbedingt erfahren. Also folgte sie der Musik durch kleine Gassen. Oft bog sie um Ecken, aber dann stand sie vor einer grünen Tür, hinter ihr, so wusste sie, würde sie den Erschaffer der Musik finden. Sie nahm den Türknopf in ihre Hand und drückte ihn. Sofort kam ihr der Geruch von Zigarren und Alkohol in die Nase, aber das störte sie nicht. Im Gegenteil. Sie wurde einfach hineingezogen. Sie kam in einen schönen, von vielen Lichtern erhellten Raum, die Leute saßen um Tische herum und spielten Karten. Abigail folgte einfach der Musik, vorbei an den Spieltischen, vorbei an den Erwachsenen, die sie anstarrten, dorthin, wo die Musik sie hinführte. Dann war es so weit, sie erblickte am Ende des Raumes ein Klavier, wo ein Junge mit braunen Haaren und einem weißen Zylinder saß und wie in einem Konzert spielte. Die lieblichen Töne kamen Abby wie in einem Traum vor, ein Traum, aus dem sie niemals wieder erwachen wollen würde. Sie setzte sich an die Bar und bestellte sich einen Drink, hypnotisiert von den Klängen, die der Fremde erzeugte. Sie hörte sich an diesem Abend viele Stücke an, glückliche und traurige, langsame und schnelle Stücke. Sie kannte ihn nicht, doch sie kannte die Verbundenheit zur Musik. Das Mädchen sah es nicht nur als Spiel an, sondern als Gabe. Der junge Mann konnte sicherlich die ganze Menschheit nur durch die Klänge seiner Stücke zu Fall bringen. Also fragte sie den Kellner, wie der Fremde am Klavier heiße. Dieser antwortete, es sei Logan Mothy, ein Mann Mitte 20, der seine Leidenschaft für die Musik in diesem Casino zum Ausdruck bringe. Nun war sie neugierig und fragte, ob jeder hier sein Debüt in der Musikbranche machen konnte. Der Kellner antwortete, dass jeder, der auch nur das Talent hat, es auf jeden Fall ausprobieren sollte und aus diesen Räumlichkeiten schon viele Künstler hervorgegangen seien. Das ließ sich Abby nicht nochmal sagen. Sie wartete ab und stieg dann zu dem jungen Künstler auf die Bühne. Sie stellte sich vor und bat um einen Gefallen. Die Blondhaarige wollte, dass er ihren Gesang auf dem Klavier begleitete. Logan sah sie überrascht an und stimmte dann nach einer Weile aber zu. Abby begann zu singen und merkte schnell, wie Logan ihre Stimme durch liebliche Töne noch mehr in Szene setzte. Sie fühlte sich am richtigen Ort, mit dem Mann ihrer Träume und Freude, wie sie sie noch nie gefühlt hatte. Nach dem Stück redete sie noch ein wenig mit ihrem Musikpartner, sie stellte viele Gemeinsamkeiten fest und fühlte sich dadurch nur noch umso mehr mit ihm verbunden. Die beiden hatten dieselbe Leidenschaft für die Musik und die gleichen Interessen. Es war klar, die beiden fühlten es genau zur selben Zeit, dass gegenüber von ihnen der Partner ihrer Träume sitzen musste.
Nach diesem Abend kam es fast nie vor, dass sie sich an einem Tag nicht sahen. Emelie verstand es schließlich, warum ihre beste Freundin sie in dem Club sitzen gelassen hatte. Denn sie wusste es genauso gut wie die beiden Verliebten, dass auch nichts sie jemals trennen können würde. Nun waren sie wieder an dem Punkt angelangt, also Emelie und Abby, an dem die beiden den Weg entlangliefen. Den Steinweg entlang zur kleinen Kapelle am See, wo Logan schon auf sie wartete. Er nahm sie bei der Hand und zog sie mit sich zum kleinen Steg, wo der Pfarrer schon auf sie wartete. Abby blickte ihrem Traummann in die Augen und nun sah sie es. Dieselbe Lust und Leidenschaft, wie sie es bei sich selbst vorhin im Spiegel und auch an diesem Abend im Club sehen konnte. Ihr Schicksal hatte sich erfüllt. Sie hatte die Leidenschaft nicht nur in der Musik, sondern auch in der Liebe gefunden und um nichts in der Welt würde sie diese beiden Sachen jemals wieder hergeben wollen, so viel war sicher. Sie wusste nur eines, genau in dem Moment, zu dieser Zeit, auf diesem Weg, hatte sie ihren größten Traum endlich gefunden.